Predigt zum 11. September 2001
Geliebte Gemeinde,
noch immer schauen wir voller Entsetzen und Abscheu auf die Bilder aus Amerika. Ich wünsche mir zwischendurch aufzuwachen und zu merken, dass dies alles nur ein grausamer Albtraum war. Aber dann sagt mein Verstand, dass es Wirklichkeit ist.
Die Unverfrorenheit und Skrupellosigkeit der Verbrecherbande von New York, Washington und Pittsburgh übersteigt das, was unser Denken bereit ist aufzunehmen. Es verunsichert uns zutiefst, weil allen klar ist, dass derartig lebensverachtende Verbrechen sich jederzeit und überall ereignen können. Das ruft auch die Angst hervor, die die Welt erschüttert und den Schrei nach Rache und Vergeltung laut werden lässt.
Wie nur sollen und können Staaten und Staatengemeinschaften darauf reagieren, wenn tausende ihrer Bürgerinnen und Bürger, die friedlich ihrer Arbeit nachgehen, von schwer fassbaren, in der Dunkelheit agierenden, selbstmörderischen Fanatikern hinterrücks und rücksichtslos zermalmt werden? Das ist eine ganz schwierige Frage. Denn jeder von uns fühlt, dass dies nicht einfach hingenommen werden kann und darf, wenn Recht und Gerechtigkeit nicht zerbrechen sollen. Aber jeder von uns weiß auch, dass eine gewaltsame Antwort darauf nur neuen Hass und neuen Terror hervorrufen wird.
Es sind mehr Fragen,
die der Menschheit damit vorgelegt worden sind: Wie konnte es dazu kommen, dass Menschen derartiges tun? Wie und wodurch entsteht solch ein Maß an Hass und Gewissenlosigkeit? Wie kommt es zu einem solch totalen Verlust an Menschlichkeit? Wo sind die Grundwerte, die das Leben schützen auf der Strecke geblieben?
Mit diesen Fragen im Herzen lese ich den Predigtabschnitt für den heutigen Sonntag: Jakob auf der Flucht. Er hat seinen Bruder um den Segen des Vaters betrogen. Rechtliche Fragen um die Erbschaft hängen damit zusammen. Es geht um die Lebensgrundlage des Bruders Esau, die Jakob an sich gerissen hat durch einen Betrug, in der Angst zu kurz zu kommen. Weil der Segen, den er sich vom Vater erschleicht, heilig ist, hat er auch Gott verletzt.
Die blanke Angst
Jakob, der sich zunächst schlau und listig vorkommt, erfährt plötzlich die blanke Angst, als er erkennt, was er getan hat. Der einzige Ausweg, den er sieht, ist die Flucht. Er rennt um sein Leben. An einem einzigen Tag läuft er zu Fuß von Beerscheba nach Bethel, das sind Luftlinie 91 km, tatsächlicher Fußweg vermutlich mehr als das Doppeltel So groß ist seine Angst.
So groß ist dann auch seine Erschöpfung. Er legt sich, mit dem Kopf an einen Stein gelehnt, auf die Erde und schläft sofort ein. Aber seine Angst kann er nicht abschütteln, sie verfolgt ihn bis in den Traum.
Der Himmel tut sich auf. Die Engel steigen auf der Leiter herab und hinauf. Das zeigt, dass es wirklich ein direkter Zugang zu Gott selber ist. Wird er jetzt kommen und Jakob bestrafen für sein frevlerisches Tun? Da erscheint Gott. Nicht aber wie Jakob es fürchtet als der Gott der Rache und der Vergeltung vor dem man sich fürchten muss, sondern als der Gott der Vergebung, der zurechtrückt und neue Wege auftut, der Leben und Zukunft ermöglicht und nicht Tod und Verderben will.
Die Begegnung mit dem Gott, der so ganz anders ist, als Jakob es erwartet hat, verändert ihn. Als er erwacht, als er begreift, als er wahrnimmt, was er da wirklich erlebt, kennzeichnet er diesen Ort als heilig. Denn an dieser Stelle seines Lebens hat er grundlegend wichtige Dinge erkannt:
1. Gott ist der Herr. 2. Gott will Leben und nicht den Tod. 3. Gott will Zukunft und nicht die hoffnungslose Angst.
Gott ist der Herr
Jakob. der sich selbst an die Stelle Gottes gesetzt hatte und selbst die Sicherung seines Lebens mit Schlauheit und List übernehmen wollte, erkennt dass er damit scheitert. Gott ist der Herr und es ist gut das zu erkennen und anzuerkennen. Immer
dann, wenn Menschen sich anmaßen, letzte Entscheidungen selbst verantworten zu können, endet dies in einer Lebenskatastrophe.
Jakob, der sich selbst ,am Ende' erlebt, darf erfahren, wie Gott ihn neu auf den Weg und ins Leben schickt. Gott will das Leben, nicht den Tod. Tod und Zerstörung sind Werke der Sünde, der Gottferne, der Verlassenheit vom Menschsein, Folge des Bösen.
Gott gewährt dem Jakob Land. Und Land bedeutet Leben, bedeutet Frucht und Korn, Wasser und Weide. Was er zum Leben braucht, das kommt von Gott. Das muss nicht durch Hinterhältigkeit ergaunert und nicht durch Hass ergattert werden.
Jakob der sich in hoffnungsloser Lage erlebt, bekommt von Gott neue Zukunft geschenkt. Gott will die Zukunft, denn er verheißt dem Jakob Nachkommen. Auch in der Katastrophe hört es nicht einfach auf. Es gibt immer ein Leben danach. Allerdings nur unter dem Schutz und Segen Gottes; wenn Gott der Herr ist.
Ich wünsche mir,
dass alle verantwortlichen Politiker dieser Tage von dem Gott dieser Geschichte der Heiligen Schrift lesen. Dass sie es wagen, Gott den Herrn sein zu lassen; wirklich Leben und auch nicht heimlich den Tod wollen; Zukunft und Hoffnung, nicht aber Krieg und Angst verbreiten
Das könnte ein erster Baustein werden zu einer neuen Weltordnung, in der die Spirale der Gewalt ersetzt wird durch die Doppelhelix des Lebens.
Ich wünsche mir, dass alle Menschen mit verbrecherischen und terroristischen Gedanken genau so auf den Gott dieser Geschichte stoßen und ablassen davon selbstherrliche Richter über das Leben andere Menschen zu sein; dass sie erkennen, dass der Tod, auch der eigene, KEIN politisches Mittel für ein besseres Leben sein kann; dass sie erkennen, dass es Zukunft, auch ihre eigene, nur unter heiligem Frieden, nicht aber unter heiligem Krieg geben kann.
Möglichkeiten
Gott, zeige uns Möglichkeiten, diese deine Botschaft jetzt in unserem eigenen Leben und Wirkungsbereich und gleichzeitig in der Welt laut werden zu lassen.
AMEN
Joachim Pennig
Pfarrer an der Petruskirche Neu-Ulm
(Stellungnahmen in der nächsten brücke)