Eine sinnvolle Einrichtung?
Orientierungshalbjahr Pfarrberuf

Während der letzten zwei Jahre meiner Gymnasialzeit überlegte ich mir, Pfarrerin zu werden. Die Gründe dafür waren sehr unterschiedlich, wie zum Beispiel großes Interesse an der Theologie als Wissenschaft, den Menschen helfen und die Liebe zum Gottesdienst. Da ich aber in der römisch-katholischen Kirche nicht Pfarrerin werden konnte und mir der Protestantismus damals auch biblisch fundierter erschien (,,sola scriptura' - allein die Heilige Schrift), konvertierte ich im September 1999 zur evangelisch-lutherischen Kirche. Weil ich vom Pfarrberuf in der evangelischen Kirche nicht viel wusste, begann ich gleich nach dem Abitur mein Praxisjahr für Theologiestudierende, das aus zwei Teilen bestand: ein halbes Jahr ,,Freiwilliges Soziales Jahr' und danach, ab März 2001, ein ,,Orientierungshalbjahr Pfarrberuf' (OHP) in Neu-Ulm, um meinen Berufswunsch zu überprüfen und die evangelische Kirche näher kennen zu lernen.
Das OHP ist eine relativ neue Einrichtung in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern und soll Interessenten am Pfarrberuf die Möglichkeit geben, diesen vor Studienbeginn erst einmal gründlich kennen zu lernen. Jeder Teilnehmer arbeitet ein halbes Jahr bei einem Pfarrer - meist in einer Gemeinde - um in möglichst viele Bereiche der Arbeit Einblick zu gewinnen. Dazu gibt es Leitlinien, die jedoch einen gewissen Spielraum offen lassen. Der Teilnehmer und sein jeweiliger Mentor legen das genaue Programm individuell fest. Im Konzept heißt es zum Beispiel: ,,Es ist das Ziel des OHP, dass sich die TeilnehmerInnen die Lebens- und Arbeitswelt des Pfarrberufs auch und gerade in den Kernbereichen erschließen. Das Praxisjahr will die Teilnehmerlnnen in besonderer Weise bei ihrer persönlichen und beruflichen Orientierung unterstützen."
Teilnehmen können sowohl Abiturienten, gleich nach der Schulzeit, Theologiestudierende, die die Berufswahl noch einmal überdenken wollen, Studierende aus anderen Fachrichtungen, die zum Pfarrberuf wechseln wollen oder Studenten, die für ihr Studium einen praktischen Rückbezug wünschen.
Bei mir lag der Schwerpunkt auf der Hospitation: Ich war bei den Gottesdiensten dabei, bei Kasualgesprächen, Besuchen, Kirchenvorstands- und Dekanatsausschuss-Sitzungen, im Schulunterricht, bei ökumenischen Arbeitskreisen... Den anderen Teil meines OHP machten selbständige Tätigkeiten aus, zum Beispiel habe ich an der Redaktionsarbeit der brücke teilgenommen und momentan bin ich gerade dabei, die brücke so zu bearbeiten, dass sie im Internet gelesen werden kann.
Dass das angesprochene ,"nähere Kennen lernen" der evangelischen Kirche dringend nötig war, bemerkte ich gleich bei meinen ersten Kontakten mit dem Kirchenvorstand. Ein gemeindliches Gremium mit einer so großen Entscheidungsgewalt kannte ich aus der römisch-katholischen Kirche nicht und mit dieser für mich neuen Struktur konnte ich mich auch nicht gleich anfreunden.
Bei der Pfarrerschaft fiel mir besonders die Kritik an der Landessynode auf. Viele beklagten sich, dass die Beschlüsse der Landessynode zwar sicher von guten Intentionen geleitet sind, aber einseitig und nicht zu Ende gedacht oder auch eventuelle Folgen nicht berücksichtigt sind, was ich selbst erleben konnte, da zum Beispiel die Finanzierung des OHP von der Landessynode offen gelassen ist.
Vor dem Beruf des Pfarrers habe ich während dieses halben Jahres einen enormen Respekt gewonnen. Umso länger ich seinen Alltag ,,live" erlebte, desto mehr drängte sich mir das Bild vom Pfarrer als ,,Mädchen für alles' auf, an dem alles hängen bleibt.
Manchmal arbeitet ein Pfarrer rund um die Uhr; oft auch doppelt soviel, wofür er eigentlich bezahlt wird' und das mit einem Engagement!! Vielleicht wäre dies auch ein Gesichtspunkt in der Diskussion um die Ehrenamtlichen, dass so gesehen Pfarrer rund 40 Stunden in der Woche ehrenamtlich tätig sind. Natürlich sind die Ehrenamtlichen für eine Pfarrei lebensnotwendig - ohne sie würde kaum etwas funktionieren! - aber die Arbeit eines Pfarrers ist genauso unverzichtbar.
Ich bin froh, das OHP gemacht zu haben. Es hat mir sehr geholfen' die notwendigen Entscheidungen für meinen zukünftigen Lebensweg zu treffen.

Annabella Vogl
Praktikantin im OHP
(OHP = Orientierungshalbjahr Pfarrberuf)

Bilder: gep