In jedem Jahr sind es einige tausend Menschen, die den Tod dem Leben vorziehen und sich das Leben nehmen. Ob Selbstmord, Suizid oder Freitod, gemeint ist die selbst herbei geführte Beendigung des eigenen Lebens. Die Motive liegen dafür meist in einer für unüberwindbar gehaltenen Hoffnungslosigkeit: Das, was man erreichen wollte und das, was man wirklich erreicht hat, ist weit voneinander entfernt - die Wirklichkeit lässt sich nicht mehr schön-reden. Manchmal ist es auch eine schwere Krankheit, die keinen Ausweg mehr zu lassen scheint. Zurück bleiben Verwandte, Freunde, Bekannte, nun selbst aus der Bahn geworfen, die mit ihren Fragen und ihrer Hilflosigkeit weiterleben müssen. Suizid hat es zu allen Zeiten gegeben, doch wurde ganz verschieden damit umgegangen. Zu biblischen Zeiten war es eine eher unwahrscheinliche Todesart. Berichtet wird nur von wenigen Verzweiflungssituationen politisch-militärischer Art, die zur Selbsttötung führten. Im Neuen Testament ist es einzig Judas, der seinem Leben selbst ein Ende setzt, weil er den Verrat an Jesus nicht erträgt. Der biblischen Erzählung ist dies nur eine Randbemerkung wert, es findet auffälligerweise keine Wertung des Geschehens oder gar eine Verurteilung statt. Ganz anders reagiert in den folgenden Jahrhunderten die Kirche: Da wurde Selbstmord als Verbrechen gegen Gott bezeichnet, denn Gott, dem Schöpfer stand das alleinige Recht zu, ein Menschenleben zu beenden. Im Mittelalter hieß es dann gar: Selbstmord ist eine Todsünde. Deshalb wurde einem Selbstmörder die kirchliche Bestattung verweigert. Der durfte dann nur außerhalb der Friedhofsmauern in ungeweihter Erde verscharrt werden. Damit wurde die Verdammung für Zeit und Ewigkeit sichtbar. Selbst Martin Luther hielt an dieser Einstellung noch fest, obwohl er immerhin Verständnis äußerte für die Not eines Menschen, der ,,von seiner Tat überfallen werde wie der Reisende vom Räuber". Erst im zwanzigsten Jahrhundert änderte sich die Einstellung der Kirche, nach einem Umdenken auch in Medizin und Rechtsprechung, nicht zuletzt durch die Einsichten der Psychoanalyse. Suizid wird nun nicht mehr als Tat aus kriminellen Motiven gesehen, sondern als Handeln aus Verzweiflung. Eine zunehmende Lähmung und Vereinsamung im Denken und Fühlen gipfelt in dem meist unhörbaren Hilferuf'. ,,Ich kann nicht mehr! Das ertrage ich nicht mehr! Ich sehe keinen Ausweg!' In Freiheit aber wird dieser Tod nicht gewählt, denn es steht keine freie Entscheidung dahinter, sondern nur die Wahl des anscheinend einzig möglichen Weges. Der aber spricht gegen die Verklärung des Selbstmordes als ,,Freitod'. In der Kirche wurde ganz neu entdeckt, dass Jesus die Menschen in Not und Elend meinte, als er die zu sich rief, ,,die mühselig und beladen" sind. Gott weist die Hoffnungslosen nicht ab, die bei ihm Zuflucht suchen. Daneben gilt weiterhin, dass Gott unser Leben gibt und es an ihm liegt uns zu sich zu rufen. Leichtfertig dürfen wir unser Leben nicht wegwerfen, gleichzeitig sollten wir uns vor dem lieblosen Verurteilen anderer hüten. So bleibt es eine große Aufgabe in unseren Gemeinden, Menschen in Not zu begleiten und sinnvolles und erfülltes Leben zu ermöglichen. cw
Rudolf Bohren schreibt in seinem Buch ,,In der Tiefe der Zisterne - Erfahrungen mit der Schwermut" (München 1990): Immer nimmt sich der Selbstmörder noch ungelebtes Leben. Indem er sich umbringt, öringt er sich um das Abenteuer seiner Zukunft, verweigert sich Menschen, die auf ihn warfen und verwehrt sich die Möglichkeit, je zu sich selbst zu kommen. Er wird zum Dieb seiner selbst. Immer nimmt er auch andern ein Stück Leben, das eigene nämlich, das er andern schuldet. Er nimmt sich andern weg und weiß nicht, weiß in seiner Verzweiflung nicht, wie viel Leid er noch über andere bringt. Er vermag die Langzeitwirkung seines Sterbens nicht abzusehen, nie. Darum ist die Rede vom humanen Sterben eine Lüge: Sich das Leben nehmen ist inhuman. ,(Seite 178) ,,Um Christi willen tue es nicht, ich bitte Dich. Der Tod ist kein Ausweg aus den Anklagen. Als Betroffener kann ich Dir nur sagen, dass Du die Qual, die Dich quält, auf andere legst und dort womöglich multiplizierst. Die Dich lieben, müssen sich an Deiner Stelle anklagen. Du meinst eine Quälerei zu beenden, wenn Du Dir das Leben nimmst und siehst nicht die namenlose Qual, die Du anderen bereitest - vielleicht über Jahre hin. Ich kann ein Lied davon singen. Das ist der große Betrug des Selbstmordes zu meinen, man beende ein Unglück, von dem man weiß; mit seinem Sterben aber verursacht man ein Unglück, von dem man noch nichts wissen kann. Ich wiederhole: Auf diese Weise stirbt niemand human." (Seite 180)
DazwischenBild:P. Heidutzek
cw