Ein Volk in der Wüste

Eine mondhelle Nacht in der algerischen Sahara, nahe der Kleinstadt Tindouf. Ich habe meine Liegematte aus dem 'Gästehaus' des Flüchtlingslagers auf den großen Vorplatz getragen und genieße nach der Hitze des Tages den kühlen Wind, auch wenn er den feinen Staub der Geröllwüste in Nase und Augen weht. Ich denke an die Menschen, denen ich heute begegnet bin und an Worte aus der Losung zum 1. April (Apg. 17,26), dem Tag meiner Ankunft: "Gott... hat festgesetzt.... in welchen Grenzen sie wohnen sollen." Wenigstens berichten will ich vom Unrecht ihrer Vertreibung.

Frauen Plötzlich ertönt hinter der niedrigen Mauer, die mich von den Zelten und den Häuschen aus Lehmziegeln trennt, eine arabische Lautsprecherstimme, entfernt sich langsam, die fremden Worte wiederholend. Der Schreck macht mich hellwach. Wurde der Beginn neuer Kämpfe gemeldet? Nur 50 Kilometer entfernt liegt die Grenze zum Gebiet der früheren spanischen Kolonie Westsahara, das Marokko gegen den erbitterten Widerstand der sahraouischen Befreiungsbewegung Frente Polisario vor 25 Jahren annektierte. Über 100 000 Sahraouis, meist Frauen und Kinder, flüchteten damals vor den Napalmbomben der Marokkaner hierher in das befreundete Algerien. Inzwischen schützt Marokko seine Beute, vor allem die Phosphatbergwerke und die fischreiche Atlantikküste, durch 150000 Soldaten und einen 2400 Kilometer langen, durch Minen und Elektronik gesicherten Wall.

Fußballtor Im Lager wird es lebendig. Stimmengewirr, ein Lastwagen voller Menschen rumpelt vorüber. Doch später höre ich aus der Ferne Musik: Die Sahraouis feiern eine Hochzeit! Einige Kilometer außerhalb des Lagers beginnt um Mitternacht das Festmahl, zu dem ein Kamel geschlachtet wurde. Die Musik spielt zum Tanz.
Dieser friedliche Anlass für die Lautsprecherstimme ändert nichts an der bedrohlichen Lage. Obwohl Marokkaner und Sahraouis 1991 einem Friedensplan unter Aufsicht von UN-Beobachtern zustimmten, hat Marokko das darin vorgesehene Referendum bis heute immer wieder verhindert. Marokkaner, die angeblich 'sahraouische Wurzeln' haben, wurden in der Westsahara angesiedelt. Auch sie sollen abstimmen dürfen für einen Anschluss an Marokko. Der Friedensplan droht endgültig zu scheitern.

"Die Weltöffentlichkeit hat uns vergessen. Wir müssen für unser Recht kämpfen, auch das Martyrium auf uns nehmen. Wir haben nichts mehr zu verlieren." Der uns diese Worte sagt, spricht wohl für eine wachsende Gruppe in der Polisario.

Tankwagen Unsere zwölfköpfige, von der Aktionsgemeinschaft 'Solidarische Welt'1 zusammengestellte Delegation wird von einem Dolmetscher der Frente Polisario begleitet. In fünf Tagen sehen wir Kindergärten, Grund- und Internatsschulen, eine Behindertenschule, eine Berufsschule für Frauen, Krankenstationen, einen durch Pumpen bewässerten Gemüsegarten, Werkstätten, vor allem zur Instandhaltung der lebenswichtigen Transportfahrzeuge, einen Tiefbrunnen zum Füllen der Tankwagen, die das Wasser verteilen. Die Aufbauarbeit während der Kriegsjahre vor 1991 haben vor allem Frauen geleistet. Bei der Versorgung der Lager trägt Algerien die Hauptiast, aber internationale Hilfe wird immer wichtiger.

Wir genießen herzliche Gastfreundschaft und bewundern den Zusammenhalt der Familien, die heitere Gelassenheit und den Lebensmut der Menschen. Die vier Flüchtlingslager haben sie nach den Städten ihrer Heimat benannt. Der Bürgermeister des Lagers El Aaiun, Khalil Sedi Mohamed, hat uns zu einem Abschiedsessen eingeladen. Mit dem Dank für unsere Anteilnahme und die Hilfe aus Deutschland verbindet er die Bitte:
"Setzt euch zu Hause dafür ein, dass euer mächtiges Land dem UN-Friedensplan für ein gerechtes Referendum endlich zum Durchbruch verhilft!"

Eberhard Simsch

1 Aktionsgemeinschaft Solidarische Weit ASW e.V. Hedenannstr. 14, 10969 Berlin Tel. 030/2510265; Fax 030/2511887
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