Nur Fliege ist schöner

Er ist Pfarrer und Talkmaster. Seine Fan-Gemeinde ist groß. Rund 1,3 Millione Zuschauer verfolgen im Schnitt sein Sendung im Ersten. Die Tausendste wurde kürzlich gesendet. Er weiß, das er ankommt - und dass gerade Frauen auf ihn, auf Jürgen Fliege fliegen. Denn "unter dem Talar bin ich immer noch ein Mann" gesteht der 53-jährige. Eben "oben Fliege, unten Moskito", wie sein Talkshow-Kollege Harald Schmidt spöttelte. Nur kein Neid, Schmidteinander!

Fliege ist populär. Er bietet Unterhaltung, die Halt bieten will - Halt im Glauben, Rat in allen Lebenslagen. Er ruft "wie Jesus" Mühselige und Beladene zu sich, um mit ihnen über ihre Not, über Gott und die Welt zu reden. Im "Evangelischen Sonntagsblatt" (vom 25. 3. 2001) hieß es dazu "Der ... evangelische Theologe versteht es, ... Gespräche einfühlsam zu führen, seinen Gästen gut zuzuhören, sie zu respektieren und nicht zu verletzen. Er ... bleibt nicht an der Oberfläche, ... verleugnet nie seinen Beruf, auch wenn er keine frommen Sprüche macht." Darin unterscheidet er sich "meilenweit ... von dem peinlichen Voyeurismus der privaten Sender, die um der Quote willen die Teilnehmer als Show-Objekte benutzen, sie bloßstellen, entwürdigen, öffentlich blamieren und dann oft psychisch beeinträchtigt nach Hause ziehen lassen."
Nicht so Jürgen Fliege, wovon sich ein 40köpfige Gruppe der Kirchengemein den Holzschwang und Reutti überzeuge wollte. Also machten wir die Fliege - die Fliege-Show mit, die am 27. März im Bavaria-Filmstudio in Geiselgasteig auf gezeichnet wurde und am 9. Mai ausgestrahlt wird. Thema: "Der schwerste Tag meines Lebens. Prominente berichten."
Klar, dass auch ein Fernsehpfarrer nich nur den lieben Gott lässt walten. Flieg hat"Jünger" - ein Team, das dafür sorgt, dass nichts dem Zufall überlassen bleibt. Mit "sanftem Nachdruck" Jürgen Fliege wurden die jüngsten Zuschauerinnen unter uns sogleich in die erste Reihe gesetzt - im Blickwinkel der Kamera, vor der Kirchen-Mann Fliege sein Publikum begrüßt Bevor der Meister endlich erscheint, muss die Menge noch instruiert werden, wie sie ihn "beifälligst" zu empfangen hat. Bereits der zweite Applausversuch wurde für würdig und recht erachtet. Nun kann es losgehen. Im dunklen Anzu betritt Fliege die Show-Bühne. Was er dabei von sich gibt ist kaum zu vernehmen. Um den "leisen Charakter" dieser "Problem-Sendung" zu bewahren, sollte auf eine Lautsprecherübertragung verzichtet werden, betont Fliege nach Drehschluss. Seelsorgerlich einfühlsam, für viele Zuhörer hingegen ärgerlich.

Als ersten "Promi" holt sich Fliege die Moderatorin Ramona Leiß aufs Sofa. Sichtlich angespannt und gerührt berichtet sie vom Tode ihrer Mutter, mit der sie schon einmal bei Fliege zu Gast war. Bei Einspielung dieser Sendung bricht Ramon Leiß in Tränen aus - und Fliege die Aufzeichnung ab. Schnitt, Pause zum Erholen. Währenddessen wirbt der Theologe um das Verständnis der Studiogemeinde: "Der liebe Gott hat uns Tränen in die Augen gegeben, damit wir sie zeigen. Sonst hätte er sie uns in den Hintern gesetzt, wo sie niemand sieht." Hintergründige Gedanken.
Nachdem sich Frau Leiß wieder gefasst und "die Maske" alle Tränenspuren beseitigt hatte, konnte weitergedreht werden - mit der Bitte um "dezenten Beifall". Will nun Fliege seine Talkpartnerin schonen oder möchte er lieber selbst nicht allzu sehr in die Tiefe gehen, frage ich mich, als er das Gespräch auf ihren beruflichen Werdegang lenkt, obwohl sie (sich) eben erst "beiläufig" die große Warum-Frage stellte: Warum (Gott zuließ, dass) ihre Mutter sterben musste? Sicher hätte auch ein Fliege darauf keine Antwort gehabt aber manche "Missverständnisse" klären können, die Leidtragende bewegen (etwa dass nicht jedes Leid selbst "verschuldet" oder von Gott gewollt ist). Chance vertan, aber Frau Leiß, mit Zukunftsgedanken "beflügelt" - einfach Fliege.

Die restliche Sendung konnte durchgedreht werden - über Menschen, die "am Durchdrehen" waren. Als Nächstes diskutierte Fliege mit einem der mutmaßlichen Mörder von Josef A., der letztes Jahr im Sebnitzer Schwimmbad sein junges Leben verlor. Als "unschuldig Bestrafter" berichtete der vermeintliche "Mittäter" von seinen schlimmsten Tagen im Gefängnis. Daraufhin kam der erste deutsche Landwirt zu Wort, der ein BSE-infiziertes Rind aus Engländ erworben hatte. Auch ihm bekundete Fliege sein Mitleid und seine Zweifel an unserer "Rechtsprechung". Die letzte Viertelstunde gehörte den Eltern der vor eineinhalb Jahren tot aufgefundenen Johanna aus Frankfurt, deren Mörder immer noch frei herumläuft. Fliege bedauerte, dass dieser schreckliche Fall fast schon in Vergessenheit geraten ist, ging aber nicht näher auf intimere Fragen ein, wie sie ihm von einem Aufnahmeleiter auf einer Tafel angezeigt wurden: "Zerreißprobe für die Ehe... ?" Bravo, dass Fliege mancher Versuchung widerstand. Familie B. war nach diesem Interview ohnehin am Ende, wollte auch nicht mehr für ein Erinnerungsfoto mit Fliege posieren. Verständlich!

Gruppenbild mit Fliege Dafür durften wir uns von ihm ein Bild machen. "Aber schnell, ich habe zu tun." Ein Fernsehpfarrer ist eben immer im Dienst. Dennoch fand er noch Zeit, mit einigen jüngeren Frauen zu reden: "Aus welchem Kaff kommt Ihr denn?" Äußerst galant! Auf diese Weise dürfte sich nichts daran ändern, dass die meisten seiner Zuschauerinnen (laut Südwest Presse) "älter als 45" sind - trotz allem, was er auch ohne Talar zu bieten hat.
"Passen Sie gut auf sich auf" wünschte ihm eine aus unserer Gruppe mit seinen eigenen "Lieblingsworten" zum Abschied. "Keine Angst" antwortete er, "der liebe Gott macht das schon für mich und der macht seine Sache gut." Wie Fliege. Nur noch besser und schöner.

kh

Bilder: A. Natzek, privat