Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2001 zum "Internationalen Freiwilligenjahr" ausgerufen. Was mag jemand wie Frau Frida Möhn darüber denken, für die seit 1950 jedes Jahr ein Freiwilligenjahr war: seit über 50 Jahren trägt sie kirchliche Mitteilungsblätter in die Häuser ihrer jeweiligen Gemeinde, erst das württembergische Gemeindeblatt, das Evangelische Sonntagsblatt und das "Blättle" der Christusgemeinde, später nur noch das "Blättle" und neu dazu seit 1974 die brücke.
Frida Möhn ist gebürtige Ulmerin, Jahrgang 1920 und das
jüngste von vier Geschwistern. Sie hat zur Münstergemeinde
gehört und ihre Jugend in Ulm verbracht, zuerst in der Hinteren
Rebengasse und dann mit 11 Jahren am Henkersgraben. Der Vater,
von Beruf Schreiner oder, wie er sich gern nannte,
"Hobeloffizier" war 1931 im Alter von 60
Jahren gestorben. Während des Krieges hat Frau Möhn bei der
bekannten Uhrenfabrik Hörz gearbeitet.
Bei einem der letzten Fliegerangriffe auf Ulm wurde die Familie
am Henkersgraben im März 1945 ausgebombt. Inzwischen waren zwei
ältere Geschwister aus dem Haus, und der Rest der Familie fand
Quartier bei fremden Leuten in Asch auf der Alb, wo Frida Möhn
auf dem Bauernhof gearbeitet hat. Fremdheit dort und Sehnsucht
nach der Stadt haben sie dann nach fünf harten Jahren 1950
wieder in ihre Heimatstadt zurückgeführt, jetzt aber nach
Söflingen. Nach Ulm war es nicht weit, denn Ulm liegt ja bei
Söflingen, wie es dort heißt. Gleich bei der Ankunft wurde der
kleinen Familie freundlich und ganz selbstverständlich alle
Hilfe beim Einzug zuteil. So hat sie sich jedenfalls sofort
zuhause gefühlt und ist spontan zur Christuskirche gegangen um
ihre Dienste anzubieten. Seither ist sie Helferin und hat sich
darüber hinaus auch eine Zeit lang in der Bahnhofsmission
engagiert.
Noch in den 50er Jahren erlebte die Familie eine unangenehme Überraschung. Es stand eine Kirchengemeinderatswahl an und Mutter und Tochter Möhn suchten in den Wählerlisten vergeblich nach ihren Namen. Jetzt erst erfuhren sie, dass der "Hobeloffizier" für die gesamte Familie den Kirchenaustritt erklärt hatte. Er hatte es seinen Angehörigen verschwiegen. Frida Möhn reagierte auf diese Entdeckung mit einem energischen "Nun aber los!" an die Adresse ihrer Mutter, die beiden traten wieder in die Kirche ein und konnten ihr Wahlrecht ausüben.
1971 konnte Frida Möhn endlich richtig nach Ulm zurück, in die Karl-SchefoldStraße, um auch dort wieder das Gemeindeblatt auszutragen, jetzt das der Münstergemeinde, und die brücke. Am Bezirk hat sich auch nichts geändert, als sie 1989 in ein kleines Zweizimmer-Appartement im St. Annastift umgezogen ist. Von hier aus holt sie sich Monat für Monat die 25 Exemplare der beiden Mitteilungsblätter. Von hier aus geht sie zum Gottesdienst ins Münster, nicht jeden Sonntag, aber immer dann, wenn Prälat Dr. Maier predigt, und ins Haus der Begegnung immer zu seinem "Montagsgespräch zur Bibel". Ein bisschen traurig ist sie schon, dass der Prälat nun wohl weggehen wird. Andrerseits freut sie's auch ein bisschen, dass wieder einer aus Ulm Bischof wird.
Als nach einer Stunde das Gespräch mit Frida Möhn endet, ist die Einundachtzigjährige keineswegs müde. Sie nimmt den Besucher mit hinunter zum Gymnastikraum, wo sie noch bis zum Mittagessen mitmacht. Und am Nachmittag - es ist der 22. Februar - will sie dann ab 14.30 Uhr am Fasching im St. Annastift teilnehmen. Ein Faschingskostüm wird sie zwar nicht anziehen, "das ginge zu weit," aber ein buntes Hütchen wird sie sich aufsetzen, "das muss sein."
ep