Leben mit der Vergangenheit
Am 26. April 1986 explodierte um 1.24 Uhr Block 4 des
Kernkraftwerks Tschernobyl. Dieser Super-GAU (größter
anzunehmender Unfall), der rein mathematisch betrachtet nie
hätte stattfinden dürfen, wühlte damals die Menschen in Europa,
ganz besonders aber in Deutschland, auf. Kinder durften
möglichst nicht draußen und schon gar nicht im Sandkasten
spielen, Beeren und Pilze wurden nicht geerntet. Das frisch
gemähte Heu wurde untergepflügt und die Milch der
Kühe nicht getrunken. Das schöne Frühlingswetter im Mai 1986
mit seinem "strahlenden" Sonnenschein wirkte plötzlich
bedrohlich. Und das alles, weil die Angst vor radioaktiver
(und leider ganz unsichtbarer) Strahlung um sich griff, mit
mancherlei hysterischer Übersteigerung ...
Am Ort des Geschehens aber kamen zahlreiche Menschen ums Leben. Unzählige leiden bis heute an den Folgen der Verstrahlung, die je länger je mehr zu Tage tritt. Die Krebsrate ist erschreckend hoch und um die Gesundheit der Kinder steht es schlecht. Doch die Bevölkerung wurde nur sehr schleppend informiert und Hilfe gibt es bis heute von der Regierungsseite kaum. Der größte Teil des radioaktiven Niederschlags ging damals über Weißrussland nieder. Eigentlich war die Wolke in den Tagen nach der Explosion des Reaktors von Tschernobyl in Richtung Nord-Ost getrieben, in Richtung Moskau also. Durch technische Eingriffe der Regierung regnete sie sich über dem Gebiet von Gomel, Vetka, Mogilov, Slavgorod aus. Dort leben etwa 2,5 Millionen Menschen, etwa 800000 Kinder und Jugendliche darunter, die einer etwa 50 mal höheren Strahlung ausgesetzt waren, als es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für zulässig erklärt. Bis heute liegt die Strahlung weit über dem, was als unbedenklich gilt.
Im Jahr 1990 hatte sich eine Gruppe aus Ulm auf eine "politische Pilgerreise auf den Spuren des Zweiten Weltkriegs" nach Weißrussland begeben. Eigentlich war die Versöhnung mit den Völkern Osteuropas das Thema, aber die aktuelle Not und das Leid, da Tschernobyl über die Menschen gebracht hatte, ließ die schreckliche Erfahrungen der Geschichte in de Hintergrund treten. Das Gesehene und Erlebte ließ die Ulmer Gruppe nicht in Ruhe, so dass am 19. Dezember 1990 die Tschernobylhilfe gegründet wurde. Ihre Ziele waren einerseits die Organisation und Durchführung von Erholungsaufenthalten von Kindern aus den hoch verstrahlten Zonen Weißrusslands in Ulm und andererseits Krankenhäusern im schwer belasteten Gebiet medizinische Hilfe zu geben. Im Juni 1991 kam die erste Kindergruppe zur Erholung nach Ulm. 447 Kinder haben seitdem in den vergangenen zehn Jahren in Ulm ihre Gesundheit stabilisiert, Kontakte geknüpft und Freundschaften geschlossen, eine andere Welt und Lebensweise entdeckt. Im November 1991 ging der erste Hilfsgütertransport nach Weißrussland. Viele Tonnen Medikamente, medizinisches Gerät, Kleidung und Spielsachen wurden seither nach Minsk, Mogilov und Slavgorod gebracht.
Leben in der Gegenwart
Bis heute ist es für die Familien aus Weißrussland eine große
Hilfe, wenn ihre Kinder einmal für einige Woche nach
Deutschland kommen können. Auch in diesem Sommer wird wieder
eine Gruppe Kinder erwartet, die in Ulm und Umgebung bei
Gasteltern unter kommen. Dass am Anfang oft keine gemeinsame
Sprache vorhanden ist, hat noch nie zu Schwierigkeiten geführt.
Oft stammen die Kinder aus benachteiligten Familien, auch
gehörlose Kinder sind darunter. Allein das gute Ulmer Essen
fördert schon ihre Gesundheit.
Der nächste Hilfstransport soll Ende diesen Monats starten, er wird schon wieder sehnsüchtig erwartet. Die Zustände in und um Mogilov werden nicht besser sondern immer schlechter. So haben Kliniken weder Verbandsstoffe noch Antibiotika und können nur Notoperationen durchführen. Deshalb werden Medikamente, Verbandsstoffe und medizinisches Gerät nach Weißrussland gebracht. Bei allem wird darauf geachtet, dass es noch mindestens ein Jahr haltbar ist. Nur so geschieht sinnvolle humanitäre Hilfe, wenn man vor Ort sieht, was benötigt wird und wo es hinkommt. Für die Menschen in Mogilov gehört die Stadt Ulm durch diese engagierte Hilfe zu einer der bekanntesten Städte im Ausland. "Ulm, eine deutsche Stadt hat ein großes Herz", so wurde der letzte Hilfstransport dort in der Zeitung willkommen geheißen.
Leben für die Zukunft
Die gesamte Arbeit der Tschernobylhilfe geschieht auf
ehrenamtlicher Basis. Die Spenden, die bisher reichlich
flossen, kommen ganz den Menschen in Weißrussland zugute.
Selbst die Lastwagen mit den Hilfsgütern werden ehrenamtlich
gefahren. Etwa 40 Menschen engagieren sich für diese Arbeit,
dazu kommen noch viele Gasteltern. Alle arbeiten mit viel
Freude und der Hoffnung, die Not einiger Menschen in
Weißrussland zu lindern. Auch weiterhin werden Spenden
finanzieller und materieller Art benötigt - und Menschen, die
mitarbeiten möchten.
Tschernobylhilfe
des Hauses der Begegnung
Grüner Hof 7 - 89073 Ulm
Geschäftsführender Pfarrer Otto Frey
e-mail: frey.ulm@t-online.de
Spendenkonto 5720
Sparkasse Ulm, BLZ 630 500 00