Drei Geschichten zur Nächstenliebe

Monatsspruch für den Februar:
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.
Lukas 10,27

Die erste Geschichte kennen Sie alle. Sie steht nämlich in der Bibel und ist die Fortsetzung des Monatsspruches:

Der barmherzige Samariter
aus dem Lukasevangelium (10,25ff).
Vielleicht lohnt es sich doch, sie wieder einmal genau nachzulesen.
Der Schriftgelehrte, der eigentlich sehr genau weiß, nach welchen Grundsätzen er leben soll, - siehe Monatsspruch versucht sich vor Jesus herauszureden (oder ihn sogar in eine Falle zu locken): "Wer ist denn mein Nächster?" fragt er wohl in der Hoffnung, den Kreis von Menschen, die Anspruch auf seine Hilfe haben, möglichst klein zu halten.
Da erzählt ihm Jesus die Geschichte vom barmherzigen Samariter und macht ihm klar: Nicht der Andere muss irgendwelche Voraussetzungen erfüllen um Anspruch auf meine Nächstenliebe zu haben, sondern am Ende zählt, ob ich einem Menschen, der Hilfe brauchte, ein Nächster geworden bin, ob ich ihm geholfen habe.
Natürlich brauchen wir in unserer Gesellschaft Maßstäbe, nach denen wir festlegen, wer Anspruch auf Hilfe - Sozialhilfe, Förderung, Asyl oder Hilfe in welcher Form auch immer - haben soll. Aber am Ende werden wir uns fragen lassen müssen, ob wir als Gesellschaft und als Einzelne den Menschen, die Hilfe nötig hatten, auch wirklich Hilfe zukommen ließen.
Das ist der Anspruch, den diese Geschichte an uns stellt.
Aber sie enthält wohl auch einen Zuspruch für uns, das Evangelium: Die Geschichte bietet uns nicht nur die drei Personen an, die den Weg entlang kommen und den Verwundeten sehen, um , uns in ihnen zu entdecken, sondern da ist auch der Verwundete selbst, dessen Platz wir einnehmen können, vielleicht in mancher Lebenssituation einnehmen müssen.
Dann heißt das für uns: So wie sich der Samariter voraussetzungslos, bedingungslos um den Verwundeten kümmert, so will sich Gott selbst unser annehmen, wenn wir Hilfe nötig haben. Wir müssen dann keine fromme Lebensgeschichte vorweisen.

Eine zweite Geschichte stammt von Ernst Schnydrig:

Der bessere barmherzige Samaritan
Da ging der Samaritan ein zweites Mal nach Jericho, fand einen zweiten Verwundeten, las ein zweites Mal auf. Ging ein drittes, ein viertes, ein fünftes Mal den gleichen Weg und fand jedes Mal einen Verwundeten. Er ging hundertmal und fand hundertmal. Ging tausendmal und fand tausendmal... Und immer an der gleichen Stelle.
Als er zum 2333. Mal von Jerusalem nach Jericho ging, dachte er bei sich: Es liegt bestimmt wieder einer da... und stolperte darüber... holte dann, wie üblich, den üblichen Vorrat aus der Satteltasche und begann mit üblicher Sorge, diesen neuesten, 2333. Verwundeten übungsgemäß zu salben und zu wickeln. Um ihn abschließend - weil Übung den Meister macht - mit einem einzigen Ruck auf den Esel zu verladen.... der auch sofort davonlief, in üblicher Richtung auf die Herberge. Und dort auch richtig ankam, der Esel mit dem Verwundeten... diesmal bloß zu zweit, ohne den Samaritaner. Der war nämlich in der Wüste geblieben, um dort zunächst einmal ein Räubernest auszuspionieren...
Als er über seinen 2333. Verwundeten stolperte, war ihm nämlich plötzlich eine Erleuchtung gekommen: dass es eine bessere Qualität von Barmherzigkeit sei, sich vorsorglich, und zwar resolut, mit dem Räubernest zu befassen, statt nachträglich Heftpflaster auszuteilen... Er merkte sich das Rezept. Und war von da ab, mit immer weniger Arbeit, ein immer besserer und noch besserer Samaritan...

Es wäre schön, wenn es solche Patent-Rezepte gegen alles mögliche Un- heil, das Men- schen treffen kann,gäbe.

Patentrezepte gibt es sicher keine, aber dennoch ist der Gedanke der Vorbeugung, der in dieser Geschichte zum Ausdruck kommt, ein ganz wichtiger Gedanke, der immer noch zu wenig zum Tragen kommt. Denn: Vorbeugung, Prävention kostet Geld - Geld, das sich zunächst einmal und scheinbar nicht rechnet - dann, wenn eben nichts Schlimmes passiert. Erst muss ein nachweisbarer Schaden eingetreten sein, bevor wir danach das Mittel der Prävention entdecken und bereit sind zu finanzieren (oder die Lasten zu tragen, und sei es nur zum Beispiel in einer Wohnstraße Tempo 30 zu fahren, bevor zwei Kinder dort verunglückt sind). Ideen solcher "vorauseilender Hilfe" gibt es sicher viele - warum tragen wir sie nicht zusammen und setzen wenigstens einige um?

Zuletzt eine alte Fabel:

Vom Pferd und vom Hund
Ein Pferd und ein Hund waren befreundet. Und jeder wollte dem Freund eine Freude machen. So sparte sich der Hund die besten Knochen vom Munde ab und schenkte sie dem Pferd. Und das Pferd verzichtete auf das beste Heu und schenkte es dem Hund... ...und so litten sie beide Hunger.

Das ist, bei allem guten Willen, wohl mit das schwierigste an der (Nächsten)-Liebe: Das Anderssein des Anderen in seiner Liebe nicht zu übersehen und wirklich auf seine Bedürfnisse einzugehen. Ich hoffe, dass nicht zu viele Weihnachtsgeschenke sich als "Heu für den Hund" erwiesen haben.

Thomas Robisch, Neu-Ulm