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Ja, wir brauchen eine Mitglieder-Zeitung |
Manche Leser kenne ich. Wenn mich die eine oder der andere auf die 'brücke' ansprechen, freue ich mich. Noch mehr, wenn Kritik rüber kommt. Ehrlich gesagt tut's mir natürlich gut, wenn ich Lob höre. Aber die "ganze Wahrheit" ist mir wichtiger und so habe ich in solchen Gesprächen oft gefragt, was denn nicht so gut sei oder fehle in der 'brücke'. Also exakt die Frage, auf die ich von Ihnen eine ehrliche Antwort erbitte.
Wir stehen jetzt vor derselben Frage, die schon vor drei Jahrzehnten offen blieb: Was soll in einer monatlich erscheinenden Kirchenzeitung drin stehen und was nicht? Die Adresse von Infratest München fand ich neulich in meinem Archiv. Richtig. Da hatte ich ja damals angerufen und die Kosten für eine repräsentative Leserumfrage ermittelt. "Das können wir uns nicht leisten" hieß es 1971. Die 'brücke' sollte ja eine Mitglieder-Zeitung für alle Kirchensteuerzahler sein, die natürlich gratis ins Haus kommt. Und Steuergelder ausgeben für eine arg teuere Profi-Analyse? Nein!
Das aus zwei Theologen (UL/NU) und einem Journalisten bestehende Redaktions-Team nahm sich damals viel Zeit. Wir hörten uns um, baten um Vorschläge; Vorbilder in anderen vergleichbaren Städten zum "Abkupfern" gab's nicht, wir betraten Neuland. Nach manchem Hin und Her entstand ein Konzept, das wir zur Diskussion stellten und das überwiegend auf Zustimmung stieß:
Kritische und "fromme" Seite
Auf die einladende Titelseite folgt die bürgernahe kritische Problemseite mit einem Kommentar (MEINE MEINUNG) über ein in Ulm/Neu-Ulm aktuelles Thema. Konkrete Beispiele: Alleinerziehende Mütter, Obdachlose, Rettungsflieger und Straßenkinder. Dann die im Redaktions-Jargon kurz "fromme Seite" genannte biblische Besinnung. Die Seite 4 war frei für die beliebte Rubrik "Wir stellen vor" und für Kurzmeldungen aus den beiden Städten. Es folgte auf Seite 5 ein kirchliches Schwerpunkt-Thema und auf Seite 6 die Spalte "Kirche heute", ergänzt durch Leserbriefe und Nachrichten, während die Seite 7 den Terminen vorbehalten blieb. Die letzte Seite sollte so etwas wie eine schriftliche Erwachsenenbildung sein mit dem Ziel, die Leser nicht mit ihrem Konfirmandenwissen allein zu lassen.
Anzeigenfrei
In den 26 Jahren seit der ersten 'brücke' hat sich an diesem
Konzept einiges geändert. Nachgewachsene, neu dazu gestoßene
Leser stellten kritische Fragen.
Die letzte Seite gehört inzwischen den KINDERN, obwohl es genug
Stoff gegeben hätte für ein Fortsetzten der Reihe
"Theologie für Nichttheologen". Acht Seiten sind
nicht viel - auch wenn sie anzeigenfrei blieben.
Gottseidank!
Die 'brücke' könnte weiterhin ein Angebot sein, über den
Kirchturm der eigenen Gemeinde hinaus zu blicken. Auch in der
Nachbarschaft und auf der anderen Donauseite gibt's interessante
Neuigkeiten und so viele gute Veranstaltungen!
Der GEMEINDEBRIEF kann und will die 'brücke' nicht ersetzen. Im
Gegenteil: Auch ich nehme meinen Gemeindebrief oft zuerst in die
Hand, klar. Die 'brücke' kann nicht mehr - aber auch nicht
weniger - sein als eine informative und lesenswerte Erweiterung
für den Gemeindebrief.
Kundenzeitung
So sind wir damals angetreten mit unserer Kundenzeitung. Für
uns war es ein Sprung ins kalte Wasser. Heute weiß ich, dass es
in Wirklichkeit warm war, das "Start"-Wasser. Anfang
der siebziger Jahre gab es viel Offenheit für das Abschneiden
alter Zöpfe und für Experimente. Zu der Gestalt des rührigen
Dekans Theophil Askani, eines Verlegersohns, der dem seitherigen
Gemeindeblatt den programmatischen Namen 'brücke' gab, gesellte
sich ein Pressepfarrer, der journalistische Seminare für
Kirchenleute anbot und es gab die (inzwischen aufgelöste)
Redaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd). Noch in den
Achtziger Jahren waren regelmäßige Begegnungen zwischen
Theologen und säkularen Journalisten in der Medienregion
Ulm/Neu-Ulm üblich. Lang, lang ist's her...
Und jetzt lesen Sie bitte noch auf dieser Seite, was mein journalistischer Lehrmeister Eberhard Stammler von der"Kirche als Lokalereignis" hält. (Er stammt übrigens aus einer alten Ulmer Patrizierfamilie.) Und schreiben Sie uns oder faxen/mailen Sie uns, ob Sie meinen, dass die Zeit der brücke' abgelaufen ist - oder nicht (näheres Seite 8).
Heinz Görlich
seine Meinung
Von einem Gartenzwergdasein der überregionalen Gemeindeblätter
in den Landeskirchen sprach bereits vor 30 Jahren der Publizist
Eberhard Stammler. Er empfahl dem Gesamtkirchengemeinderat in Ulm eine "attraktive, lokale kirchliche Kundenzeitung". Die Kirche müsse hier wesentlich mehr investieren, wenn sie ihr Publikum noch erreichen wolle.
In einem Bericht für die Lokalpresse schrieb ich 1971 unter anderem: "Die kirchliche Regionalpresse steuert dem sicheren Ruin entgegen", betonte der aus Ulm stammende Eberhard Stammler. Die dilettantische Art, in der sich nach 1945 das kirchliche Pressewesen etabliert habe, bezeichnete der Theologe als skandalös. Es gehe um die Frage, ob die Kirche sich auf die höchstens 20 Prozent ihrer Glieder konzentrieren dürfe, die am kirchlichen Leben noch interessiert sind (das waren noch Zeiten: vor drei Jahrzehnten! - Anm. d. Red.) und die übrigen 80 Prozent der Kirchensteuerzahler stiefmütterlich informiere. Immerhin koste ein Gottesdienstplatz, so Stammler damals, bis zu 700 Mark. (Was er wohl heute kosten mag!?)
Die meisten Christen begreifen ihre Kirche als Lokalereignis, so Stammler, der in Stuttgart lebt und als 85-jähriger noch publizistisch tätig ist. Er empfahl ein "Ulmer Gemeindeblatt, das allen evangelischen Christen zugeht." Als Forum "Ulm und die Kirche" sollte es neben kircheninternen Nachrichten auch kritische Meinungsäußerungen zu Fragen enthalten, die alle Bürger der Region betreffen. Soweit Stammler, zuletzt Chefredakteur der theologischen Fachzeitschrift "Evangelische Kommentare" am 16. 1. 1971 in der
Südwestpresse.
hg