Mitten in der Stadt

lautete schon einmal, vor sieben Jahren, die Überschrift an dieser Stelle, als das "Wohnheim für psychisch Kranke" des Diakonischen Werkes in der Bahnhofstraße in Neu-Ulm eröffnet und in der brücke' vorgestellt wurde. "Langzeiteinrichtung für Psychiatrie-Erfahrene" nennt sich diese Einrichtung mittlerweile, weit das die Bewohner und die Arbeit besser beschreibt.

Mitten in der Stadt
leben seit sieben Jahren Psychiatrie-Erfahrene und die Stadt bemerkt es kaum. Jedenfalls sinkt der Bekanntheitsgrad jenseits der nächsten Bäckereifiliale und der Apotheke rapide und tendiert gegen Null - von Fachkreisen mal abgesehen. Das könnten wir gut finden, schließlich zeigt es, dass das Zusammenleben der Menschen in Neu-Ulm von der Einrichtung und ihren Bewohnern in keiner Weise gestört wird.

Integration
der Bewohner in der Gesellschaft ist aber der Zweck der Einrichtung. Dazu gehört, dass die hier lebenden 24 Frauen und Männer zwischen 23 und 62 Jahren die Fähigkeiten, die zu einem selbständigen Leben gehören, wieder erlangen. Aber dazu gehört auch, dass Kontakte zu anderen Menschen bereits während des Aufenthalts geknüpft werden, nicht nur zu Angehörigen und ehemaligen Mitpatientinnen. Durch mehr Kontakte würde sich vielleicht auch das Bild ändern, das Nichtbetroffene von Psychiatrie-Erfahrenen haben und deshalb sind wir mit dem ruhigen und abgeschiedenen Dasein nicht so zufrieden.

Diakonie und Psychlatrie
haben viel miteinander zu tun. In Ulm und Neu-Ulm hat die Diakonie wie in vielen anderen Städten die Trägerschaft für sozialpsychiatrische Einrichtungen übernommen. Doch auch das ist weit weniger bekannt als das diakonische Engagement in anderen Bereichen. Warum? - Vielleicht weil das klassische "Helfen" im Sinne von pflegen oder jemanden versorgen in diesem Bereich weniger passt. Fast alle Klienten haben die Fähigkeiten, sich um sich selbst zu kümmern. Sie können diese vielleicht phasenweise nicht abrufen, so dass die Arbeit darin besteht, diese Fähigkeiten zu reaktivieren. Möglicherweise trägt auch der schwierige Ruf, den psychiatrische Arbeit immer noch hat, zum geringen Bekanntheitsgrad bei. Der Gedanke, selbst psychisch zu erkranken, erschreckt weit mehr als etwa die Vorstellung, im Alter pflegebedürftig zu werden.

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Psychische Erkrankungen
sind Teil unseres Lebens. Etwa jeder Hundertste erkrankt in seinem Leben an einer schizophrenen Psychose. Dazu kommen manisch - depressive Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen und psychische Erkrankungen des Alters, die ebenfalls zu Psychiatrieerfahrung führen. Jeder von uns kennt einen oder mehrere Menschen mit solchen Problemen. Jeder von uns kann durch Ereignisse in seinem Leben selbst in Situationen kommen, psychiatrische Behandlung oder Betreuung zu benötigen. Der Teil der Betroffenen, der sich im Moment in einer Klinik zur stationären Behandlung befindet, ist dagegen sehr gering. Die meisten leben alleine oder mit Angehörigen, ein Teil mit ambulanter Betreuung, ein Teil in Einrichtungen wie unserer.

Die Arbeit
in unserer Einrichtung ist oft nicht einfach - aber nicht in dem Sinne schwierig, wie sie von Außenstehenden meistens eingeschätzt wird:

Manchmal ertappen wir uns dann dabei, dass wir doch wieder einmal zu viel Verantwortung für eine unserer Klientinnen übernommen haben. Aber gerade die Auseinandersetzung mit sich selbst und seinem Handeln macht die Arbeit auch sehr interessant.

Erfolge
haben wir oft bei unserer Arbeit und ebenso Rückschläge, wie in allen anderen Bereichen sozialer und diakonischer Arbeit. Wenn es ein Bewohner schafft, die Einrichtung nach einiger Zeit zu verlassen und selbständig zu leben und zu arbeiten, ist das ein greifbarer Erfolg. Viel Bewegung ist auch im gesamten Arbeitsbereich Psychiatrie. In den letzten zwanzig Jahren hat sich ein Netz von Einrichtungen und Diensten entwickelt, das heute vielen Psychiatrie-Erfahrenen ein Leben außerhalb von Kliniken ermöglicht. Die Kliniken selbst, früher vorzugsweise weit weg auf dem Land, haben sich verändert, sind vielerorts durch freundliche Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern ersetzt worden. Angehörige und Betroffene selbst haben sich organisiert und vertreten ihre Interessen gegenüber Politik und Gesellschaft.

Trotzdem
gibt es noch viel zu tun. Das Interesse an den Veränderungen im psychiatrischen Bereich ist wiederum auf die Fachöffentlichkeit beschränkt und diese werden von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Endlich soll es in Neu-Ulm betreute Wohngemeinschaften für Psychiatrie-Erfahrene geben. Das Diakonische Werk hat das bereits vor zwei Jahren beantragt und ist bereit, die Trägerschaft zu übernehmen.

Ich würde mich freuen, wenn durch diese Zeilen die Eine oder der Andere ins Nachdenken gekommen ist. Psychische Probleme, Psychische Erkrankungen und Erfahrung mit Psychiatrie sind Teil unseres Lebens. In diesem Bereich wird wichtige und notwendige Arbeit geleistet. Eine Alternative zur Integration Psychiatrie-Erfahrener gibt es in einer an christlichen und humanistischen Werten orientierten Gesellschaft nicht.

Michael Henni

Bild: privat