Martin-Luther-Spätlese
das Labyrinth als Event

Was die Kirche zu bieten hat, ist gut, sie verkauft es aber schlecht. So sagen die Werbestrategen und Strategieberater.

Den Gottesdienst vor allem betreffen zwei Fragen: Die eine betrifft das Wie, die andere das Wann.

Zuerst das Wann
Die Gottesdienstzeit am Sonntagmorgen hat eine lange Tradition. Sie stammt ursprünglich aus der dörflichen Situation und ist von der Arbeit im Stall bestimmt. Heute hat sich das gründlich verändert: Am Freitagabend treffen sich Freunde, am Samstag ist Einkauf angesagt, Sport, abends ein Fest. Sonntags wird ausgeschlafen, ein Brunch genommen, ein Spaziergang gemacht und dann kommt der Abend. Er ist schon von der kommenden Arbeit am Montag belastet. Auch wer einen Ausflug machen oder Skifahren gehen will, wird den Vormittags-Gottesdienst nicht abwarten. In den Familien müssen die Kinder warten, bis die Eltern wieder von der Kirche kommen. Dann erst kann etwas Gemeinsames unternommen werden.

Von daher stellt sich die Frage, ob nicht der Sonntagabend der rechte Zeitpunkt wäre. Der Ausflug ist zu Ende. Die Kinder sind im Bett. Noch etwas
Schönes erleben vor der Arbeit am Montag, dass ein wenig Ruhe einkehrt und Sinn und ein gutes Gefühl: in einem Gottesdienst. Jeden Monat gibt es jetzt einen in der Martin-Luther-Kirche um 20 Uhr. Der nächste am 12. März.

Nun das Wie
Event - heißt das neue Zauberwort. Jede Veranstaltung soll ein "event" sein. Das englische Wort meint nichts anderes als ein Ereignis, vielleicht ein besonderes Ereignis. Es muss etwas passieren, es muss knistern unter der Haut, als wäre Geschenkpapier darunter. Die Besucher wollen etwas erleben, etwas spüren, das "anturnt" und Spaß macht. Und die Veranstalter richten sich darauf ein. Wir leben in einer Erlebnisgesellschaft.
Luther? Nun werden "events" auch für unsere Gottesdienste gefordert. Denn manche finden unsere normalen Gottesdienste mit der Predigt langweilig, das heißt erlebnisarm. Anderen ist gerade eine gute Predigt wichtig, weil sie davon zehren, darüber nachdenken können. Wir leben in einer pluralen Gesellschaft. Darum haben wir auch unterschiedliche Erwartungen.
In der Tat kann man sich Gedanken machen, was es denn in einem Gottesdienst zu erleben geben kann. Könnte man nicht wenigstens einen Abglanz von Vergebung, einen Hauch von Versöhnung, einen Luftzug des Friedens oder ein Körnchen der Liebe erfahren?
So soll es versucht werden: ein etwas anderer Gottesdienst, jedesmal in neuer Form. Er soll heißen: Martin-Luther-Spätlese.
Musik gehört dazu, nicht auf der Orgel, Bewegung, durch Anspiele und Tänze, eine Atmosphäre zum Wohlfühlen, auch für Leute, die mit dem Glauben und der Kirche ihre Schwierigkeiten haben. Eine Rede zum Leben oder Nachtgedanken, bohrend, erheiternd, überraschend. Im ganzen ungefähr eine Stunde. Und in der Nachlese dann noch einen Schluck und ein wenig Zeit zum Gespräch.

Das Labyrinth
So lautete das Thema der Martin-Luther-Spätlese am 12. März.

Ein Labyrinth ist nicht nur ein Kinderspiel zum Hindurchfinden, sondern auch ein uraltes Symbol. Vermutlich ist es auf der Insel Kreta entstanden und hat sich von da in den ganzen Mittelmeerraum ausgebreitet, gelangte nach Osten bis Indonesien, nach Westen bis Spanien, nach Norden bis Skandinavien.
Am bekanntesten ist das Labyrinth von Knossos. Dort saß der Minotaurus, halb Stier, halb Mensch, dem junge Knaben und Mädchen zu opfern waren. Er ist das Bild des Molochs, der das Leben verschlingt, ist das Bild des Todes. Von Anfang an hat das Labyrinth mit Tod und Leben zu tun. Es symbolisiert den Übergang.
Theseus, der athenische Königssohn, war einst als Opfer ausersehen. In Knossos verband ihn die Liebe mit Ariadne, der Tochter des Königs Minos. ie gab dem Theseus einen Faden. Er ging in das Labyrinth, tötete den Minotaurus und fand an Ariadnes Liebesfaden entlang wieder heraus. Der Mythos erzählt in Bildern, was die Liebesgedichte der hebräischen Bibel auf ihre Weise ausdrucken: "Die Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich" (Hoheslied 8,6). Das junge Christentum in der Antike hat diese Geschichte aufgegriffen, um mit ihm das Kreuz Christi zu verdeutlichen: Christus wurde als der neue, wahre Theseus verehrt, der Überwinder des Todes. Christus hat den alles fressenden Tod getötet und damit das Leben gebracht.
Und darum wurden dann Labyrinthe in Kirchen eingebaut. Vor allem in der Gotik wurden sie in den Fußboden von Kathedralen eingelassen. In Amiens, Auxerres, Chartres, Sens, Köln, Reims und vielen anderen Orten waren solche Labyrinthe zu finden. Es waren keine Irrgärten mit Sackgassen und Fehlwegen, sondern sogenannte Einwegiabyrinthe: Der eine Weg führt durch Weg und Umweg zum Zentrum.
Aus Unkenntnis ihrer Bedeutung wurden die meisten Labyrinthe nach der französischen Revolution entfernt, als man die Kathedralen zu Tempeln der Vernunft machte. Erhalten blieb eines der schönsten, das in Chartres.

Labyrinth in Chartres

In seiner Mitte ist eine sechsblättrige Blüte eingelassen, ein stilisierter Lebensbaum: in der Mitte herrscht nicht der Tod, sondern blüht das Leben.

In der Martin-Luther-Spätlese am 12. März wird ein Puzzlelabyrinth erstellt, ein Weg durch ein Labyrinth gesucht, in einem Labyrinth gesungen und ein Labyrinth ignoriert. Die Nachiese ist im Saal über der Kirche.

Dort wird ein 9 x 12 m großes Labyrinth aufgebaut. Es bleibt bis 9. April stehen. An diesem Tag findet ein Familiengottesdienst über das Labyrinth statt. Weitere Veranstaltungen sind geplant: Man kann es besichtigen und durchschreiten dienstags und freitags 15 - 18 Uhr, donnerstags 15 - 20 Uhr. Informations-Material liegt auf. Führungen für Grupp en sind in begrenztem Umfang möglich. Absprache ist notwendig.

Wolfgang Lipp, Pfarrer