"In den frühen Morgenstunden des 27.12.1980 landen wir nach einem guten, zehnstündigen Flug in Bombay. Die Temperatur betrug 28 'C. In der primitiven Wartehalle sitzt man hautnah auf Stühlen. Umgebung und Menschen sind fremd, wir sind in einem anderen Erdteil. Man sagt, es sei das Armenhaus der Welt.
Die Beamten schlafen an ihren Schaltern. Aus einem großen Pott kann man eine Tasse Tee bekommen. Um 6.30 Uhr holt uns ein Bus ab zu einer Stadtrundfahrt durch Bombay. Es ist noch dunkel, aber die 6-Millionenstadt ist am Erwachen. Der Verkehr ist enorm, Linksverkehr, Autos, Radfahrer und dazwischen heilige Kühe. Wir sehen Prachtstraßen mit großen Gebäuden und vornehmen Hotels, aber auch ganze Straßenzüge und kleine Ghettos mit Armenhütten der Unberührbaren. Menschen schlafen auf den Gehwegen in Decken gewickelt wie Tote, ob sie wieder aufstehen? Oberall bettelnde Kinder. Ein
buntes Treiben bietet sich uns. Am Strand kriechen die ersten unter ihren Decken vor. Im Meer sind kleine Barken, auf denen ganze Familien hausen. Hängende Gärten, Türme des Schweigens, blühende Bäume in einem herrlichen Park, darin vornehme indische Damen mit schönen bunten Saris. Männer mit ihren weißen Hemden unterhalten sich im Jogasitz auf den Bänken sitzend. Das sind die ersten Eindrücke von Indien.
Unsere Reise geht zunächst nach Süden, um Heime des CMD (Christlicher Missionsdienst) kennen zu lernen. Wir fliegen nach Trivandrum. Ein neues, buntes Bild, eine sonnige, fröhliche Welt empfängt uns hier am Flugplatz bei 35 'C. Polizisten mit ihren Uniformen erinnern an die englische Besatzungszeit. Hier treffen wir Herrn Kowski, den Administrator des CMD in Indien mit einigen Mitarbeitern, die uns nun mit ihrem Bus begleiten werden.
Wir besuchen ein Kinderheim, wo 50 - 60 Buben im Alter von 6 - 10 Jahren mit großen schwarzen Kulleraugen, einheitlich gekleidet, Spalier stehen. Der Eingang und das ganze Gelände ist prächtig geschmückt mit frischen Blumen und Papiergirlanden. Wir werden mit Blüten überschüttet. Zum Empfang erhält jeder eine Lotosblume. Ein Junge hält eine Schale davon in der Hand und zeigt, wie sich die Blüte entfaltet. Es gibt das erste indische Mittagessen..."
So beginnt die Geschichte einer Ruheständlerin, die noch einmal eine neue
Aufgabe findet:
Johanna Kiehlnecker .
Mehrmals reist sie nach Indien und auf die Philippinen, um beim CMD in Waisenhäusern, Kinderheimen, Schulen, Krankenstationen, im Büro für Patenkinder und in der Erwachsenenbildung tätig zu werden. Sie lernt Indien kennen mit all seinen Schönheiten, aber auch eine Not, die hier nahezu unvorstellbar ist. Sie erfährt von den Frauen und Männern, die vom christlichen Glauben getrieben dort helfen und ihr persönliches Wohlergehen zurückstellen, wenn es um den Dienst an der Sache geht. Sie nimmt selbst große Strapazen und Unbekanntes auf sich, um mitzuhelfen, weil sie die Notwendigkeit zum Helfen erkannt hat und auch bei sich die Kraft des Glaubens spürt. Und sie trifft mitten in Indien auf ein "Patenkind", das von einer Gemeindegruppe aus Dornstadt unterstützt wird.
Freilich sieht sie auch, dass nicht immer geholfen werden kann, weil Menschen Hilfe nicht wollen, die Not zu groß ist oder überkommene Traditionen nicht überwunden werden können. Zu Hause vermittelt sie ihre neuen Eindrücke und Erkenntnisse in Bild-Vorträgen auch an andere. So bekommt diese Arbeit einen doppelten Sinn.
Ruhestand muss nicht heißen, dass man nicht mehr gebraucht wird. Wer mit offenen Augen und wachem Herzen lebt, der findet eine so großartige Möglichkeit bestimmt auch für sich. Es muss ja nicht jede nach Indien fahren. Fragen Sie in ihrer Kirchengemeinde nach.
jp