Was ihr sollt und was ihr wollt
Der geplatzte Traum vom Jahrtausend-Reiseboom

"Ursprünglich habe ich mir gesagt, ich mache aus Prinzip nichts Außergewöhnliches am Silvester. Aber jetzt, wo der Wechsel zum Jahr 2000 immer näher rückt, denke ich doch, dass ich besonders schön feiern will, vielleicht mit Freunden auf einer Hütte im Schnee..." meint eine junge Frau bei einer Umfrage in der Ulmer Innenstadt.
Berg So bescheiden haben sich die großen Reiseveranstalter den "Jahrtausendwechsel" nicht vorgestellt. Seit über einem Jahr umwerben sie ihre Kunden mit Superlativen: Vom "spirituell-mystischen" Tanz auf dem Vulkan bis zum Galadinner auf einem Flugzeugträger reichte das bunte Angebot auf der Stuttgarter Touristikmesse CMT im Januar. Trotz der ebenfalls rekordverdächtigen Preise, der Vulkantanz auf Java kostet 9 000 Mark, eine einmonatige Kreuzfahrt inklusive zweifachem Jahreswechsel 50000 Mark, meinte damals ein Sprecher von Neckermann-Reisen: "Der Run auf die Silvester-Specials ist riesengroß. Möglichst bald buchen, sonst wird das Angebot knapp." Aber schon im März meldete dpa anlässlich der Internationalen Tourismus Börse in Berlin: "Reiseveranstalter tun ihr Möglichstes zur Vermarktung des kommenden Jahreswechsels - hohe Erwartungen inzwischen gedämpft".

Flugzeug Von einem "Millennium-Reise-Boom" redet mittlerweile auch in den Reisebüros zwischen Ulm und Aalen keiner mehr.

Anfragen nach den speziellen Silvesterkatalogen der Reiseveranstalter habe es gegeben, gebucht wurde aber kaum. Die Preise haben viele abgeschreckt, vermutet man in einem Heidenheimer Reisebüro. "Die Ulmer sind bodenständig", erklärt sich eine Reisekauffrau die Zurückhaltung ihrer Kunden. Einzig das ADACReisebüro Aalen meldet, dass das Millennium-Programm für Mitglieder ausgebucht sei. Zwischen dem 29. Dezember und dem 5. Januar geht es da nach Kapstadt, Peking, auf die Seychellen oder auf große Fahrt mit dem Orient-Express.

Hüpfer

Dennoch gibt sich die Reisebranche in der Region zufrieden mit der Wintersaison 99/2000. Das Geschäft laufe besser als in den Vorjahren. Der Renner seien Städtereisen, Fahrten mit Musicalbesuch, Ferienwohnungen zum Skifahren und natürlich Mallorca.

Hütte

"Für mich sind das alles Fürzle", meint ein älterer Herr bei der Straßenumfrage. Er feiert wie immer zuhause im Kreis der Familie. "Alles Nepp, diese Reisen", sagt ein anderer Mann. Er hat sich jetzt mit seiner Frau für einen Maskenball in Ulm entschieden. Ein junger Mann plant, mit Freunden in die Karibik zu fliegen. Aber nicht per Pauschalreise, sondern selbst organisiert. Zwei Frauen trauen dem ganzen sowieso nicht. Bei all den Meldungen über Computer-Crashs zum ersten Januar 2000, Stromausfälle und Flugzeugabstürze haben sie sich entschlossen, ganz gemütlich am Kamin das neue Jahr zu begrüßen. Und falls sie es sich doch noch anders überlegen: Schon locken die ersten Sonderangebote zum "Millennium in letzter Minute".

ur


meine meinung

No net hudla

Es werden die ruhigsten Tage der letzten 10 Jahre werden, das hab'ich mir für dieses Mal fest vorgenommen. Rein in den Sessel, warm zudecken und der Weit zuschauen, wie sie langsam, nach und nach die kleinen und großen Katastrophen wieder in Ordnung bringt. Eigentlich bin ich nicht besonders abergläubisch oder gar auf dem EsoterikPfad, nur zwei-, dreimal im Jahr spiele ich Lotto und die Sonnenfinsternis im August, die hat mich vergleichsweise kühl gelassen.

Aber beim Jahrtausend-Wechsel, bei dem ist das anders. Der hat es in sich. Zu oft schon ist mein Heim-Computer aus mir unerfindlichen Gründen einfach stehen geblieben. Bildschirm schwarz, die virtuellen Buchstaben ins Niemandsland verschoben, es blieb nur auszuschalten.

So ähnlich stelle ich mir den Jahreswechsel auch vor Es geht um zwei Mal Null. 00. Fatal, was die beiden Nulinummem anrichten können. Können, nicht müssen. Angst schüren, das gilt nicht. Die Universitätsklinik hat sich bestens vorbereitet, sagen die Verantwortlichen, es gibt keinen Grund daran zu zweifeln.

Dennoch, an diesem Silvester gilt für mich: kein Risiko. Kein Flugzeug, kein Aufzug, keine Reise ins Ungewisse. Das Notstromaggregat ist seit einigen Wochen betriebsbereit auf dem Dachboden und ein neuer Satz Batterien reicht für Radio und Licht. Die Camping-Gas-Kartusche wird für einige Tage mit Eintopf reichen. Von Panik keine Spur - aber sicher ist sicher. Und wenn doch alles wird wie immer, wenn die Nullen kein Chaos stiften, die Welt nicht lahm legen? Dann wird das Silvester dennoch unvergessen bleiben. Es wird das ruhigste und beschaulichste Silvester der letzten 10 Jahre werden - und das ist doch durchaus angemessen für das Millennium.

Eberhard Halder
Journalist bei SWR 4
Schwabenradio