Gottes Zeit eröffnet Hoffnung

Wie gebannt schauen viele Menschen auf den Jahreswechsel 1999/2000. Die Computerfachleute haben ihr ganzes Wissen eingesetzt, damit hochsensible und komplizierte Rechenanlagen diese von Menschen gesetzte Zeitgrenze heil überstehen.

Hochkonjunktur haben freilich auch Astrologen und Hellseher. Vielen Menschen ist das Jahr 2000 zu einer Metapher für neue Hoffnungen geworden, anderen wiederum zu einem Katalysator für apokalyptische Stimmungen mit angstmachenden Endzeiterwartungen.

Die Jahrtausendwende ist - mehr noch als eine normale Jahres- oder auch Jahrhundertwende - eine kritische Zeit; eine Zeit, die ein sorgfältiges Unterscheidungsvermögen erfordert. Verstärkt meldet sich die Unsicherheit zu Wort, mit der viele die moderne Kultur und Zivilisation erleben.
Darum verlangen nicht wenige Menschen nach Orientierung, nach einem festen Halt, nach Zuspruch und Wegweisung.

Können wir Christen, die wir doch seit unserer Taufe den Namen dessen tragen, nach dem sich unsere Zeitrechnung ausrichtet, Antwort geben auf entsprechende Fragen? - Ja, wie reden wir von der Jahrtausendwende? - Von der Endzeit? - Von der Wendezeit? - oder von Gottes Zeit?

In der Bibel, im Alten und im Neuen Testament, begegnen wir der Erkenntnis, dass Zeit immer eine Leihgabe Gottes ist. Gott hat Zeit. Die Zeit des Menschen hingegen versteht der biblische Glaube immer als ein befristetes Darlehen, als geschenkte Zeit.

Die uns Menschen von Gott anvertraute Zeit gilt es deshalb verantwortlich zu gestalten. Dabei spielt es keine Rolle, ob in die uns zugemessene Zeit eine Jahrtausendwende fällt oder nicht. Gottes Zuwendung und Liebe gilt uns im kommenden Jahrtausend in gleicher Weise wie in diesem nun zu Ende gehenden Millennium.

Auch in den Jahren mit einer "2" als erster Ziffer der Zeitrechnung stellt uns Gott seine Zusagen gleichsam als Wegzeichen der Zuversicht an unseren Weg. Er verläßt uns nicht, bis er alles tut, was er uns zugesagt hat - wo wir auch hinziehen und wohin wir auch unterwegs sind (l. Mose 28,15). Gott öffnet uns mit seinen Zusagen eine weite, hoff nungsvolle Zukunft.

Das macht uns frei, trotz aller Katastrophen und Kriege, aller Bedrängnisse und Gefährdungen, Sorgen und Ängste, vom Grund unserer Hoffnung zu reden. Davon, dass sich die Hoffnung der Christen nicht vorrangig auf ihre eigene Zukunft richtet, auch nicht auf die Zukunft der Kirche und der Welt, obgleich ja über beiden verheißungsvolle Zusagen Gottes stehen (zum Beispiel Matthäus 16,18 und 1. Johannes 2,2).

Die Hoffnung der Christen richtet sich auf die Zukunft Gottes. Sie verstehen Zukunft nicht als eine in die Zukunft hinein fortgeschriebene Gegenwart, sondern als einen für jeden Menschen offenen und doch zugleich unverfügbaren Raum.

Bild zur Andacht

Christliche Hoffnung richtet sich auf die Zeit, in der Gott selbst kommen wird.
Überall wo Gott als der Souverän geglaubt wird, der - wie wir im Apostolicum bekennen - kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten, da rückt alles irdische Geschehen an den vorletzten Platz. Hoffnung aber, die sich auf Vorletztes richtet, verdunkelt die großartige Perspektive, die uns seit dem Ostermorgen eröffnet und durch den Auferstandenen verheilen ist: "Siehe, ich mache alles neu!" (Offenbarung 21,5).

Diese Perspektive freilich ermutigt uns: "das geistliche Hungern und Frieren aufzunehmen und neu miteinander zu lernen, wie Gottesdienste wieder zu Herbergen, Bibel und Gesangbuch wieder zu Nahrung, und unsere Begegnungen, Sitzungen und Versammlungen zu Festen der Versöhnung werden." (Bischof Sturm, Wien)

Und diese Ermutigung wünsche ich uns und allen nach uns kommenden Generationen für jeden Tag des neuen Jahrtausends, das uns Menschen als Leihgabe Gottes anvertraut wird.

Hans-Hermann Keinath
Dekan in Ulm

Bild: gep