Leserbrief zu 'brücke' 10/99
Samariter hielt keine Bibelstunde

Mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel gelesen. An vielen der darin erwähnten Begegnungen und Konflikten habe ich als katholischer Betriebsseelsorger auch teilgenommen. Im Kampf um das Überleben von Videocolor ist es uns in ökumenischer Partnerschaft gelungen, in der Belegschaft Vertrauen zu schaffen und den Kampfgeist zu stärken. So fiel dann wenigstens der Sozialplan etwas besser aus als von der Geschäftsleitung zuerst angeboten.
Als die Katholische Kirche sich entschloß, in der Diözese und also auch in Ulm eine eigene Betriebsseelsorge zu installieren, war das Evangelische Industrie- und Sozialpfarramt bereits fest etabliert. Ich wurde gut aufgenommen und wir haben in all den Jahren bei unterschiedlichen Akzentuierungen und

Schwerpunkten eine solide ökumenische Arbeit voran gebracht. Aus der Arbeiterschaft wurde mir nie die Frage gestellt, ob Betriebsseelsorge katholisch oder evangelisch sei. Wichtig und neu war und ist für die Menschen im Betrieb und heute auch in der Arbeitslosigkeit, dass sich Kirche ökumenisch einlässt und ihre Stimme erhebt.
Wir katholischen Betriebsseelsorger in der Diözese würden sehr bedauern, wenn die Industrie- und Sozialpfarrämter nicht wieder besetzt würden. Die Arbeitswelt brennt lichterloh, die Ängste der Menschen mit und ohne Arbeit fordern uns heraus, wir müssen darauf kompetent Antwort geben und den Menschen nahe sein. Ökumenische Zusammenarbeit ist dabei unverzichtbar.
Daher bitte ich die Entscheidungsträger in der Evangelischen Kirche nachdrücklich, das Industrie- und Sozialpfarramt in Ulm möglichst mit Pfarrer/in und Sozialsekretär/in wieder zu besetzen und freue mich auf die Fortsetzung der ökumenischen Arbeit.

Werner Baur, Betriebsseelsorger